Pastoralkolleg – Eindrücke aus Kairo

Nach der Wüste kommt die Riesenstadt, man schätzt Kairo auf 25 Millionen. Der Bus fährt mitten durch den Markt, das Hupkonzert begleitet uns auf Schritt und Tritt. Morgens wartet schon die Touristenpolizei, zu unserem Schutz. Der staatlich verordnete Begleiter kann nicht glauben, dass wir ohne Bus loslaufen wollen. Dann aber staunt er wie wir über Dietmars Ortskenntnis. Er führt uns zur besten Tortenbäckerei der Stadt, zur alten Synagoge – Betreten verboten, lauter Polizei ringsum – zur deutschen Buchhandlung Lehnert und Landrock mit zauberhaften alten schwarz-weiß Fotos. Zur Konditorei Groppi mit zauberhaftem Innenhof, zum Cairo-Tower mit Blick über die Tennisplätze der Reichen, die Müllberge im Osten und die Pyramiden im Westen, und abends noch in den griechischen Club, Geheimtipp für Insider.

Vorbereitung auf den Besuch bei den Müllsammlern
Dr. Gamal begleitet das Müllprojekt von Anfang an. Sechs Communities rund um Kairo haben die Stadtteile unter sich aufgeteilt. Früher holten sie den Müll mit Eselskarren, die Esel kannten den Weg. Jetzt sind Esel in der Innenstadt verboten. Der Versuch, ausländische Firmen mit der Müllentsorgung zu beauftragen, ist gescheitert – zu große Autos… Trotz des schlechten Rufs der Müllsammler macht Dr. Gamal uns deutlich: wir sind das Problem, wir produzieren den Müll, sie sind die Lösung. Seit über 30 Jahren engagiert sich die koptische Kirche in den Müllgebieten. Sie gibt Kurse in Mülltrennung genauso wie zur Stärkung der Selbstachtung. Das wichtigste ist Bildung für die Kinder. Zwar fällt es den Familien zuerst schwer, auf die Kinder beim Müllsammeln zu verzichten, aber dann merken sie, dass die Schule mehr für sie verändert, als das Einkommen durchs Müllsammeln. Die Kirche sieht die Not der Menschen und hilft – ohne groß zu überlegen, woher das Geld wohl kommt. Das Engagement vor allem der Daughters of St. Mary ist unglaublich beeindruckend. So haben wir viele „praktische Predigten“ gesehen und in Nebensätzen verdichtet gehört; dafür hätten wir lange in Seminaren sitzen müssen.

Evangelische Christen in Ägypten
Der Präsident der Evangelischen Kirchen in Ägypten, Dr. Andrea Zaki, empfängt uns in der Zentrale von CEOSS= Coptic Evangelical Organisation for Social Services, eine Art ägyptisches Diakonisches Werk. Koptisch steht hier nicht für eine Konfession, sondern meint einfach ägyptisch. Dr. Saki vertritt etwa 200.000 Christen verschiedener protestantischer Kirchen. Für sie gilt ein anderes Zivilrecht als für die Muslime. Das Verhältnis zum Staat sei gut, 250 Kirchen seien in den letzten Jahren neu registriert worden. Die Kirchen sind offen für alle, die kommen, auch für Muslime. Aber sie würden nie auf die Straße gehen und um zu missionieren. CEOSS unterstützt etliche soziale Projekte, insbesondere auch für Behinderte. Sie sollen gestärkt werden für sich selber zu sprechen und ihre Rechte und Bildung einfordern. Der Besuch in einer orthopädischen Fabrik, betrieben u.a. von Behinderten, unterstreicht das eindrücklich.
Im Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Kairo ETSC begegnen wir Dr. Hani Hanna, Professor für Systematische Theologie. Unser Kollege David Gabra, inzwischen Pfarrer in Essen, hat bei ihm studiert. Das Seminar hat 1863 auf einem Boot auf dem Nil begonnen, jetzt belegt es einen großen Komplex in der Stadt und bietet auch Online-Kurse. „Damals surften wir auf dem Nil, jetzt im Netz“. 40% der Kurse werden von Frauen belegt, nur der Ordinationskurs ist für sie gesperrt. „Das geht in unserem Land noch nicht – leider.“

Auch der kleinen deutschen Gemeinde in Kairo und ganz Ägypten statten wir einen Besuch ab. Etwa hundert Mitglieder gehören dazu, einige seit vielen Jahrzehnten, zum Teil in drei- oder viersprachigen Familien. Blonde Jungs die auf Arabisch schimpfen, das erwartet hier keiner. Es leben immer weniger Deutsche in Kairo, die entsprechenden Positionen werden inzwischen meist mit Ägyptern besetzt. Beim Gottesdienst am Sonntagabend macht unsere Gruppe zwei Drittel aus. Die Gemeinde betreibt die Deutsche Evangelische Oberschule DEO, auf der vom Kindergarten bis zur Universitätsreife mehrsprachig eine breite Ausbildung vermittelt wird. Hier hat auch der neue Pfarrer Leyer seit drei Monaten sein Hauptarbeitsfeld.

Die Müllstadt Ezbet el Nakel
Morgens brechen wir auf in die Müllstadt „Ezbet el Nakel“. Hier leben mehr als 100.000 Menschen, die meisten vom Einsammeln, Sortieren und Recyclen von Müll. Je weiter wir uns vom Zentrum Kairos entfernen, desto enger und unbefestigter werden die Straßen. Neben der Straße entdecken wir Hunde und Esel, die vor Karren gespannt sind. Einmal sogar ein totes Pferd. Durch das Autofenster dringt ein strenger Geruch.

Die El Mahabba School wirkt dagegen fast idyllisch. Schüler und Schülerinnen haben sich zum Morgenappell versammelt. Sie begrüßen uns mit Tänzen, Trommeln und sogar einem auf deutsch gesungenen Lied. „Your visit encourage us“ – euer Besuch ermutigt uns – ist auf einem Plakat zu lesen. Fast 3000 Kinder lernen in dieser Privatschule, die der koptische Orden der „Daughters of St. Mary“ unter der Leitung von Schwester Demania betreibt. Sie bereiten sich auf eine bessere Zukunft vor. „They can cross the culture“, sagt Schwester Maria, die Oberin des Orden. – Sie können den Absprung schaffen.

Ein wichtiger Treffpunkt ist das Salam-Zentrum. In beiden Häusern gibt es eine vielfältige Sozialarbeit, darunter ein Training für angehende Altenpflegerinnen und einen Kindergarten. Kinder mit Handicap werden nach Montessori ausgebildet. Es gibt Nachhilfeunterricht und eine Schule für ältere Kinder, die unabhängig von einer Jahrgangsstufe in Mathematik, Arabisch und Englisch unterrichtet werden. In Nähwerkstätten können Frauen ein eigenes Einkommen erwirtschaften. Freiwillige Sozialarbeiterinnen suchen die Familien in ihren Häusern und Hütten auf. Besonders die Frauen erleben hier Unterstützung, denn Gewalt- und Drogenprobleme sind an der Tagesordnung. Durch die Arbeit des Ordens und der vielen Mitarbeitenden hat sich das Klima in der Müllstadt verändert. „Wir versuchen, Licht zu bringen“, so Schwester Maria.

Gastfreundschaft wird groß geschrieben. Die Schwestern bereiten uns ein reichhaltiges Mittagessen zu und geben uns zur Erinnerung eine handgemalte Ikone der Heiligen Familie. Wir fühlen uns reich beschenkt.

Alt-Kairo 
Mit der Metro zur Station Mar Girgis/Hl. Georg. Dort sind die ältesten Kirchen, Klöster und Moscheen versammelt. Die koptische Gemeinde beruft sich auf einen Besuch des Evangelisten Markus im Jahr 48 und sei somit die älteste christliche Gemeinde der Welt. Wir besuchen den Gottesdienst in der „hängenden Kirche“, im 7. Jh. auf der alten römischen Befestigungsanlage erbaut. An der Eucharistie dürfen alle teilnehmen, auch Kinder, und bekommen Wein und Brot. Auch der Segen wird mit reichlich Wasser über alle verteilt. In der griechisch-orthodoxen Kirche des Hl. Georg sind wir mit vielen muslimischen Menschen zusammen. Etliche lassen sich von einer Nonne segnen inmitten des Gewühls – ein Moment der Spritualität trotz aller Hektik ringsum. Ein paar Schritte weiter die vielleicht älteste Kirche in Kairo, St. Sergius and St. Bacchus. Mit ihr wird der Ort verbunden, an dem Mose im Körbchen am Nil gefunden wurde. Später habe sich hier die Familie Jesu auf der Flucht vor Herodes versteckt. Die Ben Esra Synagoge wird nach dem Exodus fast aller Juden aus Ägypten in den letzten 50 Jahren nur noch als Museum genutzt. Hier wurden Ende des 19. Jh. in einer sog. Geniza, einer Art Aufbewahrungskammer für entsorgte heilige Schriften, über 200.000 alte Schriftrollen gefunden. Auch die älteste Moschee auf afrikanischem Boden ist gleich neben dem koptischen Viertel. Und auf dem Friedhof treffen wir eine Frau, die mit ihren Töchtern in einer der alten Grabkammern dauerhaft wohnt.
Daneben wirken unsere Sorgen lächerlich: auch wenn es zuerst ein großer Schreck ist, ohne Portemonnaie aus dem Metrogewühl zu kommen. Es folgen für Helmut und Sr. Demiana als Dolmetscherin mehrere Interviews mit immer höheren Polizeibeamten. Als nach gut zwei Stunden das Portemonnaie wieder auftaucht, wenn auch ohne Bargeld aber mit allen Papieren, ist das wie ein Wunder in dieser riesigen Stadt.

A-K & H

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